Im Februar 2021 hat Bielefeld eine ganz besondere Kälteperiode erlebt – für Menschen ohne festen Wohnsitz eine Zeit, in der es im wahrsten Sinn des Wortes ums Überleben ging. Bei bis zu minus 20 Grad ohne wärmende Schlafsäcke oder passende Kleidung im Freien zu übernachten, ist eine sehr gefährliche Sache, und wir haben uns als Sozialwerk Philippus gefragt, wie wir helfen können.
Mit unseren Fragen gingen wir zu Michael Geymeier (Heilarmee Bielefeld), von dem wir wussten, dass er das ganze Jahr über in Kontakt mit wohnungslosen Menschen ist. Er berichtete von vielen Obdachlosen, die aufgrund von Ängsten öffentliche Unterkünfte meiden und auch bei extremen Minusgraden lieber im Freien übernachten, von „Kältestreifen“, die er und seine Leute täglich fuhren, um die Obdachlosen mit warmen Speisen, Getränken und Schlafsäcken zu versorgen, von seiner großen Enttäuschung über die Tatenlosigkeit der Bielefelder Kirchen und Freikirchen in dieser außerordentlichen Notsituation. Dieses Gespräch setzte uns umgehend in Bewegung.
In Zusammenarbeit mit unserem Kleiderkammerteam und mit der Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen aus der Philippus-Gemeinde organisierten wir innerhalb weniger Tage ein „Warme Kleidung & Kaffee to go“ Angebot für wohnungslose Menschen. Die große Hilfs- und Spendenbereitschaft war überwältigend, und auch das Zusammenwirken von Mitgliedern des Sozialwerks, der Philippus-Gemeinde und anderer Gemeinden war eine sehr Mut machende Erfahrung.
Als alles vorbereitet war, kam es allerdings ganz anders als gedacht. Den ersten geplanten Termin mussten wir schweren Herzens wegen angekündigter Eisglätte absagen, zwei Tage später kamen – bei zunehmend wärmeren Temperaturen – drei Gäste, die anschließend zufrieden und mit vollen Tüten weiter zogen. Wiederum zwei Tage später hatten wir bei inzwischen fast frühlingshaftem Wetter sogar zwölf Gäste…
Kommentar von Michael Geymeier in unsere leichte Enttäuschung hinein: „Na seht ihr? Die Leute kommen doch!! Wartet mal zwei bis drei Wochen, dann hat sich das rumgesprochen…J!“ Ja, das glauben wir auch. Die Menschen werden kommen, wenn wir sie weiterhin einladen, wenn wir ihnen Kleidung und etwas zu essen anbieten, wenn wir uns hier und da die Zeit nehmen, zuzuhören und mit ihnen zu reden. Die Frage ist nur, ob wir das wirklich wollen, und zwar über die zunächst geplanten vier Winterwochen hinaus? Und wie soll die Unterstützung dann aussehen? Reichen Kleidung, Kaffee und Sandwiches und ab und zu ein Gespräch? Oder haben die Menschen vielleicht noch ganz andere Bedürfnisse?
All das sind Fragen, auf die wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Antworten haben. Wir wollen uns aber auf den Weg machen und herausfinden, was wohnungslose Menschen in Bielefeld – besonders auch in den kalten Wintermonaten – wirklich brauchen. So sind wir schon sehr gespannt darauf, wie es mit der Obdachlosenhilfe weiter geht und was Gott vielleicht auch gemeindeübergreifend für die wohnungslosen Menschen unserer Stadt auf den Weg bringen möchte.
Conny Münstermann